Der nordschwedische Sarek-Nationalpark ist mit knapp 2 000 Quadratkilometern wahrscheinlich die letzte große, zusammenhängende Wildnis Europas. Hier gibt es außer der Natur prinzipiell nichts: keine Brücken über teilweise reißende Flüsse, keine markierten Wege und schon gar keine Hütten.
Nur mitten in dieser Wildnis finden die Wanderer eine einfache Schutzhütte mit einem Hjälptelefon, einer Toilette und einem markierten Hubschrauber-Landeplatz für den Notfall: die ehemalige Mikkastugan am Skarja oder auch Smaijlaträffan genannt, da hier alles zusammenläuft. Die einzige wirklich verlässlich vorhandene Brücke im Sarek führt hier über den Smaijla, der sonst nur unter großer Gefahr zu queren wäre.
Im Sommer 2012 musste ich dann ein schon Jahre altes Versprechen endlich erfüllen:
Mit Felix (damals 12 Jahre alt) eine Tour durch eben diese Wildnis. Eine Tour von Kvikkjokk über das Njoatsosvágge zur Alkavare Kapell und dann weiter durch das Alggavágge nach Skarja, durch das Basstavágge bis schließlich nach Rinim.
Knappe zwei Wochen abseits der Zivilisation. Alles was wir brauchten auf dem Rücken (Anfangsgewicht der Rucksäcke: 35 bzw. 14 kg).
Von Kvikkjokk ins Fjäll (Tag 1 und 2)
Das erste Teilstück unserer Wanderung war wenig spektakulär: von Kvikkjokk, wo wir problemlos mittags mit dem Bus angekommen sind, ging es bei Sonnenschein und Temperaturen um 25 °C meistenteils durch Wald ein Stück den Kungsleden entlang gen Norden.
Nach etwa 6 km nahmen wir dann die ausgeschilderte Abzweigung Richtung Pårek. Auch hier ging es eigentlich nur durch den mit Blockfeldern durchsetzten Wald, der zu allem Überfluss jede Menge Mücken beheimatet.
Am Ende dieses ersten Tages schlugen wir unser Zelt auf einer der Halbinseln im Stuor Dáhtá auf (X 7437241, Y 1586206): Lagerfeuer und einen wirklich tollen Blick über den See inclusive.
Der zweite Tag führte uns dann weiter gen Fjäll: Nachdem wir vormittags schon die Grenze zum Sarek-Nationalpark überschritten hatten, wichen Wald und Blockfelder irgendwann gegen Mittag einer hügeligen Moorlandschaft, durch die bequeme Bohlenwege führen.
Kurz vor Pårek musste dann der Boarekjávrre durchwatet werden - die Brücke lag in Trümmern daneben. Weiter bergan ging es dann wieder durch Krüppelbirkenwald, die Baumgrenze aber schon lange vor Augen.
Um den Mücken zu entgehen, schlugen wir unser Zelt dann ein Stück oberhalb des Waldes am Fuß des Pårte (X 7446739, Y 1582844) auf. Im Sonnenuntergang eröffnete sich hier ein gigantisches Panorama mit Blick über den Kabla und andere Massive im Süden.
Über den Sähkok bis ins Njoatsosvágge (Tag 3)
Der Morgen des dritten Tages führte den am Hang des Pårte traversierenden Weg weiter, bis wir schließlich auf eine von ein paar Flüssen durchschittene Hochebene kamen.
In den Flussläufen lag teilweise noch meterhoch Schnee, die Schneebrücken waren aber nicht gangbar. Also liefen wir einige Umwege, um dann jeweils auf‘s andere Ufer zu gelangen.
Der Sahkokjåhkå zwang uns dann endgültig, die Stiefel ausziehen - aber ein Problem stellte das Durchwaten nicht dar.
Nach einer ausgedehnten Mittagspause ging es dann weiter bergan, über Geröll und Schnee zum Sattel des Sähkok.
Der weitere Weg über über die Hochebene zeigte, dass es offenbar auch im Sarek markierte Wege gibt: der Winterweg bis zur Renwachthütte am Ruopsokjåhkå ist perfekt mit den typischen Holzkreuzen gekennzeichnet.
Im Sommer ist der Weg auch nicht weiter problematisch zu finden: der teilweise gut sichtbare Pfad führt über eine wellige Landschaft bis zum dann doch etwas steileren Abstieg.
Nach der letzten Flussüberquerung des Tages über den Ruopsokjåhkå schlugen wir das Zelt gleich am Ufer (X 7449940, Y 1572283) auf. Das Njoatsosvágge war erreicht.
Das Njoatsosvágge (Tag 4 und 5)
Wie viele tiefer liegende Täler im Sarek ist auch das Njoatsosvágge grün: Krüppelbirkenwald, hohes Gras, Sumpf, mannshohe Weidenbüsche und immer mal wieder ein Fluss oder Bach, der gequert werden musste. Und genau durch all das mussten wir durch. Der Pfad verlor sich immer wieder, insbesondere in den tieferen Lagen. Durch das Unterholz war nur schwer durchzukommen und an den Weidenbüschen bleibt man mit dem Rucksack hängen, während man über die Wurzeln stolpert. Mehr als zwei Kilometer pro Stunde schafft man so kaum.
Dafür entschädigte uns aber der Blick über das Tal, der auch immer wieder möglich war, sobald man den einen oder anderen kleinen Hügel erklommen hatte.
Nachmittags kamen wir dann an den Luohttajåhkå: ein von diversen Gletschern gespeister Fluss.
Die Karte (von 2009) zeigte den Weg über den Fluss am oberen Rand des Tals. Hier gab es irgendwann einmal eine Brücke (später stellten wir fest, dass die z.B. in Karten von Ende der 1980er-Jahre noch eingezeichnet war). Jetzt hingen hier aber nur noch Trümmer an den gekappten Stahlseilen.
Also gingen wir ein gutes Stück flussaufwärts, in der Hoffnung, hier eine Querung zu finden. Aber die Hänge zum Fluss wurden immer steiler, sodass dieser doch recht weite Umweg keinen Erfolg brachte.
Also wieder zurück und flussabwärts nach einer Furt suchen.
Auch hier fanden wir nichts - Wasserstand und Strömung waren nach wie vor hoch.
Kurzentschlossen suchten wir uns eine einigermaßen passende Stelle und zogen uns bis auf die Unterhosen aus. Eine gute Entscheidung, wie sich zeigte: mir ging das Wasser bis zur Mitte der Oberschenkel, Felix entsprechend bis zum Bauch. Und auch die Seil-Sicherung war nicht umsonst, angesichts der starken Strömung konnte Felix sich nicht mehr halten und war somit auf meine Hilfe angewiesen.
Nass und ziemlich ausgekühlt erreichten wir so das Ufer. Immerhin, der Inhalt unserer Rucksäcke war trocken geblieben.
Nachdem wir wieder trocken und ein bisschen aufgewärmt waren, suchten uns bald einen Zeltplatz (X 7455922, Y 1568444) mit Aussicht, und fielen nach dem Abendessen auf unsere Isomatten.
Der fünfte Tag führte uns weiter durch das Njoatsosvágge - jetzt aber im Kalfjäll. Da machte das Laufen gleich wieder richtig Spaß und wir kamen auch sehr gut voran. Zur späten Mittagspause war der Njuotsosjávvre erreicht - der Bergsee am Ende des Tals. Hier endet laut Karte auch der mehr oder minder deutlich sichtbare Pfad.
Das Terrain war allerdings nicht schwer, sodass wir bald den Tjågnårisjåhkå erreichten, den wir auch problemlos überquerten
Am rechten Ufer des Tjågnårisjåhkå, der später zum Alep Sarvesjåhkå wird, führt, wie uns einige Schweden berichteten, der „Gamla Präst Stigen“ entlang: der Weg der Priester von Tuottar zur Alkavare Kapell. - Wir überquerten auf der Suche nach einem guten Zeltplatz aber zunächst den Fluss, um unser Lager bei der Renwachthütte aufzuschlagen.
Über den Gamla Präst-Stigen zur Alkavare Kapell (Tag 6)
Am Morgen des sechsten Tages querten wir zuerst den Tjågnårisjåhkå wieder, um auf dem Gamla Präst Stigen (oder zumindest in dessen Nähe - einen Pfad fanden wir leider nur zeitweise) am rechten Ufer Richtung Norden bis zum Álggajavvre zu laufen.
Eine gute Entscheidung, östlich des Flusses zu gehen: von Westen münden viele Flüsse und Bäche in den Alep Sarvesjåhkå, sodass wir hier ständig hätten queren müssen.
So blieb gegen Mittag nur noch die Querung des Alep Sarvesjåhkå, für die wir zwar auch im Delta an der Mündung in den Álggajávvre die Stiefel gegen Sandalen tauschen mussten, die aber ansonsten absolut unspektakulär war.
Am Seeufer entdeckten wir dann auch bald zwei der drei Boote, die hier zur Querung des Miellädno postiert sind. Obwohl wir geplant hatten, die Brücke etwa einen Kilometer flussabwärts zu nutzen, ruderten wird. - Eine gute Entscheidung, wir wir bald feststellten: die noch 2009 eingezeichnete Brücke gibt es nicht mehr!
Einen knappen Kilometer mussten wir dann noch bergauf laufen bis zur Alkavare Kapell (X 7471293, Y 1560701) und ihren Nebengebäuden (incl. Toilette mit klasse Aussicht!).
Ein wunderbarer Blick von der Kapelle ins Tal - und der Ort an sich ist ein Fixpunkt mitten in der Wildnis und strahlt gleichzeitig, trotz aller Einfachheit, etwas wie Würde aus. Schön. Hier blieben wir den Rest des Tages.
Durch das Álggavágge (Tag 7)
Am nächsten Tag ging‘s weiter - durch dasÀlggavágge Richtung Guohpervágge, nordöstlich. Der siebte Tag unserer Tour begann wie der sechste, glücklicherweise im Schutz der Kapelle, geendet hatte: stürmisch, regnerisch und kalt. Glücklicherweise blieb der Nebel aus, der wohl - wie wir aus einigen Gästebucheinträgen in Alkavare entnehmen konnten - schon einige Wanderer zu einem Tag Pause gezwungen hatte.
Schon nach kürzester Zeit waren wir dann auch komplett nass, die auf den ersten etwa acht Kilometern reichlich vorhandenen Weidenbüsche taten ihren guten Teil dazu. Immerhin gab es - außer dem obligatorischen Schuhwechsel - keine Probleme beim Durchwaten irgendwelcher Flüsse.
So erreichten wir dann am späten Nachmittag Algganjálmme, die Wasserscheide, an der der Gálmmeljåhkå und der unbenannte Zufluss zum Gohperjåhka durch die unterschiedlichsten Gletscherbäche entstehen. Eine Mondlandschaft aus Geröll, die sich über eine etwa zwei Kilometer lange Hochebene hinzieht. Hier sollte man sich am besten auf der linken Seite des Flusses halten.
Hat man den Rentierzaun am Ende des Tals überwunden (es gibt glücklicherweise ein paar Durchgänge), sieht man sehr bald am gegenüberliegenden Ufer eine Renvaktarstuga. Diese ist nagelneu, aber die alte Hütte steht auch noch und soll, so wurde uns berichtet, sogar offen sein und somit Schutz bieten für den Fall der Fälle. Eine Überquerung des absolut wilden Flusses an dieser Stelle ist allerdings undenkbar.
Also schlugen wir das Zelt am linken Ufer auf.
Von Allganjálme über Skarja bis zur Gamla Pielastugan (Tag 8)
Der achte Tag begann mit einem frischen Fußbad. Nur gut hundert Meter hinter unserem Zeltplatz mussten wir gleich wieder die Schuhe gegen Sandalen tauschen, um den Guohperjåhkå zu überqueren. Praktischerweise haben wir dann auch erst nach der Überquerung im Windschatten eines Hügels dort gefrühstückt.
Und wieder: Wind, Regen, Kälte. Bis Skárja haben wir deshalb auch keine wirkliche Pause eingelegt - und am Smájillaträffan, der Brücke und der Schutzhütte dort, sind wir sogar noch fast vorbei gelaufen. Glücklicherweise haben wir gerade noch rechtzeitig bemerkt, dass wir uns im Guohpervágge zu weit südlich, also unterhalb hatten.
Somit bogen wir dann noch einmal hart nördlich ab und kamen dann auch zur Schutzhütte. - Bei einer Mittagstemperatur von gerade einmal drei (!) Grad war der Windschutz für eine ausgiebige Mittagspause sehr willkommen!
Erst am späteren Nachmittag, als der Regen dann auch endlich nachgelassen hatten, setzten wir die Tour Richtung Pielastugan fort. Gegen 20.00 Uhr fanden wir kurz vor dem Bielavárásj, am Ufer des Bielajåhkå einen wirklich guten Zeltplatz für die nächste Nacht. Und diese Nacht war wirklich kalt!
Basstavágge (Tag 9)
Tag neun: Nach einer ziemlich verfrorenen Nacht (trotz Wollunterwäsche waren die Sommerschlafsäcke leicht überfordert) begann ein wunderbarer Tag. Trocken und sonnig. Aber schon am Eingang zum Basstavágge merkten wir, dass es recht windig war. Und auf den Gipfeln um uns herum lag Schnee, der auch im Laufe des Tages nicht wegschmolz.
Um uns herum bemerkten wir inzwischen auch viele Zelte - einige Wanderer hatten es offenbar vorgezogen, den letzten Tag im Zelt zu verbringen statt weiter zu gehen. Insbesondere diejenigen, die steinige Strecken wie zum Snåvvavágge hinauf, zu bewältigen hatten, taten wohl auch gut daran.
Und wir merkten bald, dass auch das Basstavágge bei Nässe oder vielleicht sogar leichtem Schnee kein Spaß ist: der größte Teil des Wegs lief über Geröllfelder. Wenn der Pfad zu erkennen war, traversierte er - gerade einmal knappe 30 cm breit - gern auch einmal direkt am Hang entlang. Und wo er nicht zu erkennen war, liefen wir dann auch schon einmal falsch und landeten viel zu weit oben am Hang...
Im Tal selbst war ein guter Zeltplatz nicht zu finden, das hatten wir uns schon vorher erzählen lassen. Darum mussten wir, ob wir wollten oder nicht, durch das Tal hindurch: Eine Mondlandschaft aus Geröll und Gletscher direkt auf Augenhöhe.
Als wir aus dem Tal herauskamen, am Fuß des Dártjahkkå, fanden wir wie beschrieben einen Zeltplatz an einem großen Stein - aber hier wollten wir dann auch nicht mehr bleiben, sondern gingen noch die restliche Strecke bis Rinim weiter.
Da der Bootsführer für eine abendliche Überquerung des Sitojaure nicht aufzutreiben war, schlugen wir das Zelt dann im Wald direkt am Rand der Siedlung auf.
Von den Sitojaure Stugorna auf dem Kungsleden zurück in die Zivilisation (Tag 10 und 11)
Nach einer dreiviertel Stunde Bootsfahrt über den Sitojaure erreicht man die STF-Hütten direkt am See. Hier hatten wir dann endlich wieder ein festest Dach über dem Kopf und einen Ofen... Da kommen schon richtige Zivilisationsgefühle auf, zumal sogar zwischen Notraum und Holzschuppen Handyempfang zu bekommen ist, sodass man sich als „lebend“ zurückmelden kann.
Einen ganzen Tag lang genossen wir diesen Luxus (incl. frischem Fisch, den wir bei der Hüttenwartin kaufen kontnen), bevor wir uns am Tag elf auf die letzten zwanzig Kilometer über die Hochebene gen Saltolukta machten.
Als wir am Stora Sjöfallet in unserer absoluten Lieblings-Fjällstation ankamen, war der Herbst dann schon da: Die Bäume wurden bunt, auf den Gipfeln lag weiterhin Schnee. Und wir machten uns nach ein paar Tagen hier am Rande der Wildnis wieder auf den Weg gen Heimat.